Genomik im Einsatz zur Rettung der letzten bayerischen Urforellen

Projekt Dr. Ulrich Schliewen, Leiter Ichthyologie,

Zoologische Staatssammlung München

Hintergrund – die letzten bayerischen „Urforellen“
Angesichts flächendeckender genetischer Vermischung mit Aquakulturstämmen
ist die ursprüngliche Vielfalt bayerischer Bachforellen (Salmo trutta) hochbedroht.
Eigene Pilotdaten aus Begehungen und Befragungen im Jahr 2021 legen nahe,
dass es in Bayern möglicherweise fast keine wilden Bachforellenpopulationen
mehr geben könnte, wenn überhaupt nur in isolierten Gebirgsbächen. Vielmehr
ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass fast alle Populationen aus einer Mischung
von domestizierten Aquakulturstämmen und ursprünglichen Beständen bestehen.
Aus einem der ehemals häufigsten und schönsten einheimischen
Süßwasserfische ist so schleichend eine in ihrer autochthonen genetischen
Integrität bedrohte Wirbeltierart geworden. Diese Einschätzung kontrastiert mit
der letzten Roten Liste der bedrohten Fischarten in Bayern, in der die Art als
„häufig“ bewertet wird. Da es auch mit einfachen genetischen Methoden bis vor
Kurzem nicht möglich war, die Vermischung einheimischer Bachforellenbestände
sicher zu erfassen, konnte dieser Situation bisher auch nur begrenzt
gegengesteuert werden.
Die neuesten genomischen Techniken erlauben es kostengünstig Millionen
genetischer Einzeldaten an vielen Individuen gleichzeitig zu untersuchen –
dadurch können auch feine, aber dennoch entscheidend wichtige Unterschiede
zwischen Urforellen und zugewanderten Bachforellen identifiziert werden. Mit der
ddRAD-Methode („double digest restriction-site associated DNA“) sollen im ersten
Projektjahr (2022) zunächst ca. 5000 – 17.500 Genorte bei 192 ausgewählten
Individuen, sorgfältig vorausgewählt aus 183 bayerischen Gewässern in den
Alpen und Voralpen, auf genomische Eigenheiten ihres Genoms gescannt
werden.
In einem zweiten Schritt werden die relativ schlecht erhaltene DNA aus
historischen Bachforellenschuppen mit neu entwickelten DNA-
Extraktionsprotokollen extrahiert (in 2022) und mit der „DNA target capture“-
Methode auf das Vorhandensein genomischer Besonderheiten, die typisch für
noch historisch-unbeeinflusste Urforellenbestände sind, untersucht (in 2023).
Durch den Vergleich der ddRAD- mit den historischen target capture-Daten wird
es so möglich, Urforellen-Stämme zu erkennen und für die Nachwelt gezielt zu
erhalten.
In einem dritten optionalen Schritt (Phase 2023) würden von denjenigen
Populationen, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit ursprünglich geblieben
sind, erstmals Komplettgenom-Sequenzierungen vorgenommen werden („WGS-
Sequencing“), weil nur so die komplette ursprüngliche genetische Ausstattung
der bayerischen Urforellen mit denen anderer Regionen und Aquakulturstämme
aus anderen Studien vollumfänglich verglichen werden können. Diese komplett
charakterisierten Genome würde so den technischen Standard für den Aufbau
von ex-situ-Erhaltungspopulationen, z.B. in Zuchtprogrammen ermöglichen.
 
Ausblick / Zukunftsperspektive „Citizen Science“ / „Citizen
Conservation“
Parallel zu dem rein technischen Projekt wird sich Dr. Ulrich Schliewen bemühen,
über eine unabhängige Geldquelle für die Lebensraum-Charakterisierung der
letzten möglichen Urforellenbestände ein „Citizen-Science/Conservation“-Projekt
ins Leben zu rufen, um sowohl Naturliebende (z.B. über den Alpenverein,
Naturschutzverbände) als auch Sportfischer ins Boot zu holen. Dafür sind eigenen
Personalmittel, Reisemittel für werbende Vorträge und Mittel für eine interaktive
Website nötig, die nicht über die Stiftung Artenschutz und Technik eingeworben
werden.
 
Förderung durch die Stiftung
Die Stiftung fördert das Projekt in den drei Schritten mit jeweils 20.000 € in 2022
und 2023.

Stand: 09/2022